Die Pflichtverteidigung dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Durchführung eines fairen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens, zu dem eine effektive, sachgerechte Verteidigung gehört. Das heißt, in bestimmten schweren oder komplizierten Sachen muss jeder Beschuldigte durch einen Rechtsanwalt vertreten werden, der vom Gericht beigeordnet wird, wenn er noch nicht selbst einen Verteidiger beauftragt hat (Wahlverteidiger).
Die notwendige Verteidigung ist in § 140 StPO geregelt. Demnach wird unter anderem in folgenden Fällen ein Pflichtverteidiger beigeordnet:
- Das Verfahren findet in erster Instanz vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht statt;
- Dem Beschuldigten wird ein Verbrechen zur Last gelegt (Taten, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind, § 12 I StGB);
- Das Verfahren kann zu einem Berufsverbot führen (§§ 70 ff. StGB);
- Untersuchungshaft oder eine Unterbringung (in einer Psychiatrie oder Entzugsklinik) wird vollstreckt oder es soll ein Gutachten über den psychischen Zustand erstellt werden;
- Der bisherige Verteidiger wurde ausgeschlossen;
- Dem Verletzten wurde ein Rechtsanwalt beigeordnet;
- Wegen der Schwere der Tat (wenn mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe im Raum steht);
- Bei Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage (z. B. auch mangels Sprachkenntnissen);
- Bei Unfähigkeit, sich selbst zu verteidigen (z. B. wegen Erkrankungen);
- Bei Jugendlichen wie bei Erwachsenen auch (siehe oben) ergänzt durch weitere Fallgruppen, § 68 JGG.
Wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, wird dem Beschuldigten eine Frist (in der Regel zwei Wochen) gesetzt, bis zu der er einen Rechtsanwalt seines Vertrauens auswählen kann, den das Gericht dann beiordnet, wenn nicht ausnahmsweise wichtige Gründe dagegen sprechen. Wird von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht, wählt das Gericht selbst einen Pflichtverteidiger aus. Als Beschuldigter sollten Sie am besten selbst einen Anwalt aussuchen, sodass Sie sicher gehen können, dass die „Chemie stimmt“ und es sich um einen Anwalt handelt, der sich engagiert für Sie einsetzt. Dabei muss der Anwalt nicht mehr zwingend in dem jeweiligen Gerichtsbezirk tätig sein.
Das Recht des Beschuldigten, sich von einem Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, ist gesetzlich festgelegt in § 137 I StPO und in Art. 6 III c EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention). Es ergibt sich auch verfassungsrechtlich aus unserem Grundgesetz (Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 III GG). Das soll die Gleichstellung derjenigen garantieren, die noch unverteidigt sind, mit denen, die bereits auf eigene Kosten einen Wahlverteidiger beauftragt haben. Dabei spielt es nach dem Gesetz keine Rolle, ob der Beschuldigte sich einen Anwalt leisten kann oder nicht, wobei in der Praxis derjenige, der sich einen Wahlverteidiger leisten kann, in der Regel auch einen beauftragen wird. Das liegt an dem schlechten Ruf der Pflichtverteidigung als Verteidigung „zweiter Klasse“. Denn der Pflichtverteidiger erhält für seine Tätigkeit wesentlich weniger Geld als der Wahlverteidiger, sodass so mancher Anwalt bei seinen Pflichtverteidigungen weniger Zeit und Mühe investiert, als bei seinen anderen Mandaten. Ein guter Verteidiger, der sich seiner berufsrechtlichen Pflichten bewusst ist, sollte allerdings unabhängig von dem finanziellen Interesse bei Pflichtverteidigungen genauso gewissenhaft und engagiert für den Mandanten arbeiten wie sonst auch. In aufwendigeren Verfahren kann es aber sinnvoll sein, mit dem Pflichtverteidiger eine zusätzliche Vergütung zu vereinbaren.
Die Höhe der Kosten ist im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geregelt. Es handelt sich um feste Beträge für die einzelnen Verfahrensabschnitte und Termine. Nach Abschluss des Verfahrens macht der Pflichtverteidiger seine Kosten gegenüber der Staatskasse geltend. Diese Kosten werden bei einem Freispruch von der Staatskasse getragen. Bei einer Verurteilung muss allerdings der Verurteilte in der Regel die Kosten tragen. Der Staat holt das Geld dann vom Verurteilten wieder. Eine Ausnahme ist das Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende (bis 21 Jahren). Hier wird in der Regel davon abgesehen, dem Verurteilten die Kosten aufzuerlegen, § 74 JGG.
Dieser Artikel dient nur der allgemeinen Information. Bei Fragen wenden Sie sich gerne unverbindlich an mich!